Gefallener Engel von Sybille Onnen
  • Verlegenheit, Liebe und Frechheit

    oder:
    Tun wir, was wir sollen?
    - ein Lied zur Betrachtung des gefallenen Engels,
    den Sybille Onnen vor ihren Augen liegen hatte
    ehe sie sich entblößte
    und ihn der Öffentlichkeit zum Fraße anbot
In der Betrachtung des gefallnen Engels
stehst Du allein - und wie mir scheint gewagt:
fast außerhalb des irdischen Gedrängels,
auf einem Balken, der ins Freie ragt.

Was willst Du da? Mir scheint, in Deinen Sinnen
ist vieles, das den Abscheu Dir erregt,
Du stehst verdreht: was willst Du so gewinnen?
Frägst Du, wer den gestürzten Engel pflegt?

Ich kenn Dich nicht! Ich kenn nur Dein Gebilde.
Noch ist der Glanz der Leiber nicht verletzt.
Noch fürchte ich, Du liebst Dich als das Wilde,
das sich am Sturz des Heiligen ergötzt.

Und doch scheint sie mir ratlos, die Gebärde:
Du hast die Arme hinterrücks verschränkt!
Bekennst Du Dich sogar zur braunen Erde?
Ich glaub es nicht: Du hast sie abgelängt!

Ich seh es doch: Um sicher drauf zu stehen,
fehlt Dir der Glaube. Du vertraust ihr nicht!
Du spürst es selbst: Dein Engel mag nicht sehen,
wie Deine grüne Kälte zu ihm spricht.

Noch quälen ihn der Sehnsucht ärgste Wehen.
Die scheue Angst in Dir ist nicht gescheit!
Noch fehlt ein letzter Schritt: Wirst Du ihn gehen?
Liebst Du statt seiner Liebe nun sein Leid?

Du bist kaum anders als auch andre Frauen:
Dein Hinterteil erglänzt wie Deine Brust.
Wer wollte darum Deiner Liebe trauen?
Was heißt hier Leidenschaft? Was heißt hier Lust?

Ein Leid zu schaffen, ist in allen Himmeln
ein Werk des Teufels: Er verdirbt den Sinn.
Mir aber scheint, Du willst hier heilibtümeln
Und mich betören, weil ich ehrlich bin.

Was wärst Du ohne den gestürzten Engel?
Sieh Dich doch um: aus dem gewollten Blau
erhöbe sich gewisslich kein Gedrängel!
Du wärst allein! Ich seh das ganz genau!

Die Liebe Gottes schenkt uns hier auf Erden
nur so lang seine Lust und Leidenschaft,
wie wir mit alten irdischen Gebärden
gesund und froh und voller Gotteskraft
tun, was wir sollen.

Was aber Du? Du scheinst mir nur verlegen!
Hast Du noch nicht entschieden, was Du tust?
Dein Engel wartet: Wer gibt wem den Segen?
Wie seine Flügelfedern ist Dein Sinn ein Wust!

Begann der Kerl, im falschen Kiez zu kirren?
Begegnetest Du ihm als nackter Schmu?
Ich frag Dich nur! Ich will Dich nicht verwirren,
doch eins ist klar: Die vor ihm steht, bist Du!

Erschräkest Du, wenn Dich die Leute frügen,
warum sie meinten, dass Du schamlos seist?
Entgegnetest Du ihnen, dass sie lügen
und viel zu blöde wären, um den Geist,

den Du verkündest, richtig zu erkennen:
Den Geist des Zweifels, der verlegnen Scheu,
der statt wie Salz in seinem Leid zu brennen,
ihn heimlich darum bäte, zu verzeihn?

Ich kenn Dich nicht. Doch alles Weltgetriebe
erscheint mir mindestens so nah wie Gott:
Nur kluge Frechheit ist ein Grund zur Liebe
Nur sie befreit uns von dem Schmu mit Spott.

Wenn sich die Klugheit mit der Dummheit einte,
wär aller Friede wirr und sehr beschwert,
doch sei getrost: Es gibt noch Menschenfreunde!
Noch ist das Licht der Götter unversehrt!

Sie sehn genau, wenn sich die Schönen schämen
Und wenn Gelehrte aus abstrusem Grund
Bedächten, wie sie an Dir Rache nähmen.
Wär ich ihr Feind: noch ist das Licht gesund!

Schwörst Du die Unschuld? Bist Du voyeuristisch?
Befolgst Du hier das Motto: brav und scheu?
- Entblößte Leiber sind nicht platonistisch,
und bloße Seelen sind nicht vogelfrei.

Du standest stumm und sagtest uns doch alles:
verdreht, verlegen und mit scheuem Blick.
Du warst nicht Meisterin im Fall des Falles!
Noch stehst Du leer! Du suchst es noch, Dein Glück!

Wer aber kann die tote Seele brauchen?
Ich frag Dich nicht, ich sing Dir nur ein Lied
Du schaffst es nicht, ihr Leben einzuhauchen
Du mußt's noch lernen: Sie ist nicht sein Glied!

Ein Engel und ein Weib passt nicht zusammen.
Dein Weinen hülfe nichts - es wär nur schad.
Die Böcke bocken und die Lämmer lammen.
Gott aber straft den sträflichen Verrat!

Er akzeptiert zwar gern Verlegenheiten,
doch heut und hier ist ihm das nicht genug:
- nicht, wenn Du anfängst, laut herumzuläuten! -
Nur wenn Du leis bist, hält er Dich für klug!

Wirst Du ihn zu dieser Haltung bewegen?


Kurt Böhringer


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